Eine gemeinsame Arbeitsgruppe bestehend aus Vertreter*innen des VEPPÖ (Verein evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer Österreichs) und der ARGE (Arbeitsgemeinschaft) Theologinnen hat sich zusammengetan um ein „Manifest zur Geschlechtergerechtigkeit und Diversität“ zu veröffentlichen. In einem siebenseitigen Dokument finden sich sowohl eine Problemanzeige und Beispiele sowie auch Forderungen an die Evangelische Kirche in Österreich und eine Selbstverpflichtung des VEPPÖ.
Die Bewegung steht unter dem Motto „Danke, Dora!“ und ist Dr.in Dora Winkler-Herrmann, der ersten ordinierten Frau in Österreich, gewidmet. Die Pfarrerin wurde nach drei Jahren gezwungen ihr Amt niederzulegen, ihre Ordination wurde nicht anerkannt. Doras Geschichte steht symbolisch für all jene Frauen, deren Arbeit nicht mit dem nötigen Dank, der angemessenen Position und der würdigen Entlohnung honoriert wurde und wird.
Die Arbeitsgruppe besteht aus:
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Manifest zur Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in der Evangelischen Kirche in Österreich
Erarbeitet von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe des VEPPÖ und der ARGE Theologinnen
Ostersonntag, 17. April 2022
Gewidmet Dr.in Dora Winkler-Herrmann, der ersten ordinierten Frau in Österreich
Vor 75 Jahren wurde Frau Dr.in Dora Herrmann nach drei Jahren Dienst als Pfarrerin in Tirol und zwei Jahre nach ihrer Ordination von Seiten der Kirchenleitung gezwungen ihr Amt als „Personalvikarin“ niederzulegen. Ihre Ordination im Jahr 1945 durch den Superintendenten von Oberösterreich, die nicht durch den Bischof genehmigt war, wurde nicht anerkannt. „Zutiefst betroffen über so viel Undank und Unverstand, Härte und Lieblosigkeit innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft, schied sie aus dem Dienst der Kirche.“1 Auch als später ihre Ordination anerkannt wurde, kehrte sie niemals in den Pfarrerinnen-Beruf und nach Österreich zurück. Mit dieser Widmung wollen wir Frau Dr.in Winkler-Herrmann nicht nur ein ehrendes Andenken bewahren2, sondern Danke sagen. Danke, Dora!
Wir sind uns bewusst, dass auch unser Handeln als Einzelpersonen und als Vorstand des Vereins von unbewussten Vorurteilen und Verzerrungsmechanismen beeinflusst ist. Wir verpflichten uns selbst zu entsprechenden Reflexions- und Veränderungsschritten.
Unsere Kirche steckt in einer Krise: Sie sieht die Gleichstellung der Geschlechter biblisch- theologisch begründet, hat sie rechtlich gesichert und ist bemüht, diese auf allen Ebenen zu leben – und doch: die Wahl von Frauen in kirchenleitende Ämter ermöglicht sie nicht hinreichend.
Einerseits nutzen wir dadurch nicht alle Talente in unserer Kirche und bringen nur eingeschränkt Positionen und geeignete Personen zusammen.3 Andererseits wird eine, als theologisch richtig erkannte, Position in der kirchlichen Realität nur mangelhaft umgesetzt. Schließlich – und am schwerwiegendsten – ermöglichen wir keine Chancengleichheit für Männer und Frauen. Das bedeutet, dass wir, wenn auch meist unbewusst, hochqualifizierte Angestellte diskriminieren. Gleichberechtigung aber ist ein Menschenrecht.4
Sexismus spielt – wie in unserer Gesellschaft – auch auf allen Ebenen der Kirche eine Rolle. Ihn zu thematisieren ist jedoch nicht erwünscht, droht dies doch in schmerzhafter Weise an dem Selbstbild der evangelischen Kirche zu rütteln, die ihren Stolz gerade auch aus der Tatsache bezieht, dass Menschen jenseits der Kategorie von Geschlecht „alles werden“ können. Schweigen wir über den Sexismus in der Kirche, richten wir weiterhin Schaden an und diskriminieren dadurch insbesondere Frauen.
Schließlich aber schädigen wir damit uns als Kirche, weil wir ihrem werte- und beteiligungsorientierten Wesen nicht Rechnung tragen5 und dem Auftrag des „semper reformanda“ nicht nachkommen.
Wir gehen in der Feststellung der Diskriminierung von Zahlen und Belegen auf Basis wissenschaftlicher Studien6 sowie von persönlichen Wahrnehmungen aus und stellen nicht von Neuem die Beweisfrage. Dies ist nicht mehr nötig, vielmehr ist es nämlich so, dass ein maßgeblicher Teil der Erschöpfung von Frauen und ihrer schwindenden Bereitschaft, sich in (leitende) Ämter wählen zu lassen, dadurch entsteht, dass ihre Diskriminierungserfahrungen und die wissenschaftlichen Fakten immer wieder vergessen und marginalisiert werden, weshalb neue Generationen von Frauen immer wieder von vorne beginnen müssen.7
Unterschiedliche Studien belegen, dass Frauen mehr und größere Hürden zu bewältigen haben, wenn sie in leitende Funktionen einer Organisation kommen möchten bzw. auch, wenn sie bereits dort sind.8 So werden, wenn die Leistung von Frauen eindeutig zu erkennen ist, erfolgreiche Frauen als weniger sympathisch als erfolgreiche Männer wahrgenommen. Ist die Leistung der Frauen dagegen weniger eindeutig zu erkennen, werden erfolgreiche Frauen als weniger kompetent als Männer beurteilt. Frauen stecken also in einem Dilemma, sie können (in Vorstellungsgesprächen, bei Wahlen etc.) entweder kompetent oder sympathisch erscheinen – und zwar gegenüber Männern wie Frauen, die sie in diesen Situationen beurteilen.9
Es fehlen Rollenbilder von Frauen in Leitungspositionen. Das hat schwerwiegende Auswirkungen. Gemäß einer Untersuchung des Studienzentrums für Genderfragen der EKD führen Wahlen unter Zeitdruck dazu, dass wahlberechtigte Personen unbewusst dazu neigen, ihre Definition von Erfolg und Kompetenz an Personen zu orientieren, die aktuell hochrangige Positionen bekleiden und andere Attribute dabei automatisch ausschließen. Und in solchen leitenden Positionen sind zurzeit mehrheitlich Personen männlichen Geschlechts. Dies führt zu einem Wettbewerbsnachteil für Frauen. Innerhalb dieser Dynamik bekommen Frauen letztlich gar nicht erst die Chancen, ihre Leitungsfähigkeiten unter Beweis zu stellen.10 Es wurde weiter festgestellt, dass Game-Changer*innen insbesondere aus Angst vor Veränderung nicht gewählt werden, auch weil die oft unbewussten Vorurteile der Wählenden nicht thematisiert und sichtbar gemacht werden.11 Es fehlt unseren Gremien die Zeit und Kraft für tiefgreifende Reflexion vor und während Wahlen und Personalentscheidungen. Sowohl die haupt- als auch die ehrenamtlichen Entscheidungsträger*innen sind auf anderen Eben zu sehr gefordert, als dass sie selbstständig ein inklusives Arbeitsumfeld erschaffen könnten. Auch deswegen spielen zwangsläufig Bekanntes und die eigene soziale Sicherheit neben unbewusster Voreingenommenheit bei der Wahl (z.T. des/der eigenen Vorgesetzten) eine beträchtliche Rolle. Auch werden Leitungspositionen so gewählt, dass sie ein „gleichwertiges Pendant“ zur männlichen katholischen Obrigkeit und zur männlich dominierten Politik im Allgemeinen darstellen. Dies sind nur einige Beispiele von Verzerrungsmechanismen, die der Chancengleichheit für Frauen in der evangelischen Kirche entgegenstehen.
Wir erwarten von unserer Kirche und ihren Verantwortungsträger*innen in Haupt- und Ehrenamt auf allen Ebenen eine aktive Reflexion unbewusster Vorurteile und infolgedessen einen Abbau stereotyper Rollenbilder.
Wir fordern mehr Transparenz in Ausschreibungen und Wahlprozessen. Dazu gehört ein klares Anforderungsprofil für Leitungsämter und ein Überdenken der Abläufe bei Wahlen mit dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit. Auch innovative Vorschläge wie ein Leiten in geteilten Stellen (shared leadership), partizipative Leitungsmodelle und eine Verkürzung der Amtszeit sollen dabei Berücksichtigung finden.12
Es gibt zahlreiche, erprobte Methoden, die Diversität in Leitungsfunktionen in allen Ebenen unserer Kirche fördern können und Geschlechtergerechtigkeit in Wahl- und Anstellungsverfahren begünstigen.13 Von unserer Kirche erwarten wir Initiative, Neugier, Risikobereitschaft und die Inanspruchnahme von wissenschaftlicher Begleitung, wenn es um die Erprobung solcher Methoden geht. Wir begrüßen Ideen und Konzepte, die Frauen fördern – gleichzeitig halten wir fest, dass nicht diese sich zu ändern haben, vielmehr ist es unsere Kirche, die ihre Spielregeln umdefinieren muss.
Wir fordern, dass Diversität ein wesentlicher Bestandteil unserer kirchlichen Identität wird: In unseren Gremien muss daher die Frage nach einer ausgewogenen Repräsentanz von Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Herkunft beantwortet werden.
Abschließend sehen wir die Gefahr, dass es auf Grund des hohen Drucks bald zur Wahl einer Frau in ein Leitungsamt unserer Kirche kommt, folglich die Dringlichkeit der Forderungen als erfüllt gesehen wird und die Brisanz unseres Anliegens schließlich zum Erliegen kommt. Die Wahl einer Frau bedeutet aber noch lange keinen Systemwechsel und kann nur ein kleiner Schritt in eine richtige Richtung sein. Im schlimmsten Fall ist es ein Freibrief, diese Krise erneut nicht ernst zu nehmen.14 Wir fordern daher, dass sich die Kirche sichtbare und messbare Ziele und Maßnahmen bezüglich dieser Themen vorgibt, die sie in einer gewissen Zeit zu erreichen hat.
Auch unser Handeln als Einzelpersonen und als Vorstand des Vereins ist von unbewussten Vorurteilen und Verzerrungsmechanismen beeinflusst. Dessen sind wir uns bewusst.
Wir bekennen: Was bei anderen leicht als Fehler zu diagnostizieren ist, ist vergleichsweise fast unmöglich an sich selbst wahrzunehmen.15
Um ebenjenen unbewussten Handlungsmustern zu entkommen, die insbesondere den Wahlprozessen von Frauen in Leitungsämter entgegenstehen, ergreifen wir Maßnahmen:
hintere Reihe: Melanie Binder (ARGE Theologinnen), Elke Kunert (ARGE Theologinnen), Birgit Meindl-Dröhandl (VEPPÖ und ARGE Theologinnen); vordere Reihe: Karoline Rumpler (ARGE Theologinnen, Iris Haidvogel (VEPPÖ)
Melanie Binder (ARGE Theologinnen), Iris Haidvogel (VEPPÖ), Birgit Meindl-Dröthandl (VEPPÖ und ARGE Theologinnen), Elke Kunert (ARGE Theologinnen), Karoline Rumpler (ARGE Theologinnen)
Melanie Binder (ARGE Theologinnen), Elke Kunert (ARGE Theologinnen), Iris Haidvogel (VEPPÖ), Birgit Meindl-Dröthandl (VEPPÖ und ARGE Theologinnen), Karoline Rumpler (ARGE Theologinnen)